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Dr. Stephan Behle und Alexander Geißels von Saint-Gobain im Gespräch mit re!source

Dr. Stephan Behle ist Direktor Research bei Saint-Gobain in Deutschland. Sein Kollege Alexander Geißels leitet den Bereich Public Affairs und Verbandswesen. Saint-Gobain ist ein französischer Industriekonzern und stellt unter anderem Flachglas, Baustoffe und Industriekeramik her. Vertreten in 75 Ländern erzielte das Unternehmen 2022 mit 168.000 Mitarbeitenden 51,2 Milliarden Euro Umsatz in den Sparten Werkstoffe, Bauprodukte und Baufachhandel.

re!source: Sind Sie als großer Hersteller von Baustoffen auch von einem Rückgang der Baunachfrage betroffen oder können Sie das auffangen?

Alexander Geißels: Die aktuelle konjunkturelle Lage im Hochbaumarkt deutet auf eine stark abnehmende Bautätigkeit hin. Viele bereits genehmigte Projekte werden aufgrund von Rentabilitätsverschlechterungen oder Finanzierungsunsicherheiten nicht mehr ausgeführt. Konsequenz ist die sinkende Abfrage nach Baumaterialien. Auch wir können uns diesem Trend nicht entziehen.

Die Produktion von Flachglas erfordert einen hohen Energieeinsatz. In Ihrem Werk in Herzogenrath setzen Sie bereits 30 % Wasserstoff neben Erdgas zur Erzeugung von Prozesswärme ein. Wie funktioniert das, und wie sieht hier der weitere Weg aus?

Dr. Stephan Behle: Bislang haben wir einen erfolgreichen Versuch durchgeführt, in dem wir einzelne Brenner der Glasschmelzwanne von Erdgas auf 100 % Wasserstoffbetrieb umgestellt haben. Daraus ergab sich eine 30-prozentige Wasserstoffbeimischung. Dies dient zur Vorbereitung eines zukünftig CO2-neutralen, energieeffizienten Wannendesigns. Zukünftig wird eine Hybridwanne, bestehend aus elektrischer Beheizung und Wasserstoffbeheizung, eingesetzt werden. Der Grund ist, dass sich eine 100-prozentige elektrische Beheizung bei Flachglaswannen dieser Größenordnung nur schwer erreichen lässt.

Wann soll die neue Wanne kommen?

Behle: Wir rechnen mit 2028. Zunächst müssen Vorversuche im großindustriellen Maßstab abgeschlossen werden. Dann sind Lieferzeiten für die neue Wanne zu berücksichtigen, bevor die alte Wanne nach Abkühlung in einem Zeitraum von sechs Monaten repariert bzw. neu aufgebaut wird. Zu dem Projekt kommt übrigens eine dezentrale Wasserstoffversorgung hinzu.

Neben dem Verkehrssektor liegen auch die Treibhausgasemissionen im Gebäudebereich über den Zielvorgaben der Bundesregierung. Was wäre aus Ihrer Sicht eine sinnvolle Vorgehensweise, um besser als bisher voranzukommen?

Geißels: Da der Gebäudebestand in Deutschland überwiegend auf einem schlechten energetischen Niveau liegt, sind aus unserer Sicht stärkere Anreize zur energetischen Modernisierung dieser Gebäude notwendig. Die aktuell geplante intensive Förderung von Wärmepumpen und Nutzung regenerativer Energiequellen ist zwar grundsätzlich nachvollziehbar, aber durch den Fokus auf die Heizungstechnik nicht ausreichend nachhaltig. Ohne eine effiziente Gebäudehülle werden Wärmepumpen für die Hausbesitzer bei steigendem Strombedarf und damit auch steigenden Strompreisen schnell zur Kostenfalle. Daher ist es wichtig, individuelle Sanierungsfahrpläne durch Energieberater*innen anfertigen zu lassen, die eine Grundlage für einen sukzessiven und für Hausbesitzer finanzierbaren Modernisierungsprozess bieten. Sowohl für die Beratung, aber auch und vor allem für die Sanierung der Gebäudehülle sind entsprechende Förderprogramme unabdingbar. So kann einerseits die Finanzierung der konzeptionellen Gebäudemodernisierung sichergestellt, andererseits auch der Strombedarf nachhaltig reduziert werden. Denn bei einer effizienten Gebäudehülle verbraucht die Wärmepumpe logischerweise auch geringere Strommengen. Mit ihren verschiedenen Marken bietet die Saint-Gobain Gruppe viele nachhaltige und bewährte Systemlösungen für energieeffiziente Gebäudehüllen – sowohl für transparente als auch nichttransparente Flächen. Damit sind hohe Anforderungen an Neubau und Renovierung erfüllbar.

Ressourcenschonung durch Kreislaufwirtschaft ist ein breit diskutiertes Thema. Welches Potenzial sehen Sie bei Saint Gobain (bzw. in Ihrer Branche)? Welche Rolle spielen Wiederverwendung oder Recycling, etwa von Flachglas?

Behle: Recycling bietet eine wichtige Rohstoffquelle. Diese zirkulären Rohstoffe sind derzeit jedoch nicht in ausreichenden Mengen verfügbar. Der Einsatz von Recyclingglas ermöglicht die Reduzierung des Energieaufwandes und der CO2-Emissionen aus dem Herstellprozess. Bei der Produktion von ISOVER Glaswolle wird heute bereits ein Anteil von bis zu 80 % Recyclingglas eingesetzt. Bei dem besonders nachhaltigen Glas Saint-Gobain ORAÉ liegt diese Quote sogar nahezu bei 100 %. Hinzu kommen bei diesem Glas noch die Verwendung von 100 % Biogas und 100 % Grünstrom, sodass sich der CO2-Fußabruck gegenüber den aktuellen EPD-Werten anderer Saint-Gobain-Gläser um 40 % reduziert. Um das Potenzial des Recyclings auszuschöpfen, bedarf es klarer gesetzlicher Vorgaben und einer Kontrolle der Einhaltung dieser Regeln. Ziel muss sein, das Recycling zu erleichtern und das Deponieren von recyclebaren Baustoffen wirkungsvoll zu verhindern. Saint-Gobain bietet für immer mehr seiner Produkte Recyclingservices für Baustellenverschnitte und Rückbaumaterialien an und ermöglicht damit Abfallvermeidung auf der Baustelle und Ressourcenschonung bei der Produktion.

Wie funktionieren die Recyclingservices bei St. Gobain?

Behle: Die Services werden durch Fachpartner geleistet. Sie übernehmen den Transport von der Baustelle in Regionallager, gehen von dort gesammelt in die Aufbereitung und gelangen dann zurück in die Produktion. Realisiert haben wir dies bereits für die Produktion von Dämmstoffen aus Mineralwolle und für unsere Gipsbaustoffe. Gerne würden wir auch die Quoten beim Abbruchglas erhöhen. Jedoch sind relevante Mengen nicht verfügbar, da Abbruchglas als Abfall gilt und der Recyclingprozess dadurch leider immer noch sehr aufwendig ist.

Der Ausbau der regenerativen Wasserstoffinfrastruktur erfordert gewaltige Investitionen mit langem zeitlichem Horizont. Reichen die Rahmenbedingungen dafür heute schon aus oder ist noch mehr Unterstützung aus der Politik erforderlich?

Behle: Der schnellere Ausbau der Wasserstoff-Pipeline-Netze und die Anbindung an eine dezentrale Wasserstoffversorgung sind wünschenswert. Ein großes Manko besteht in der Geschwindigkeit von Genehmigungen. Insgesamt sind die verwaltungstechnischen Rahmenbedingungen deutlich zu verbessern. Darüber hinaus ist es wichtig, dass eine gerechtere Aufteilung der Wasserstoffkapazitäten stattfindet und keine Industriezweige oder Branchen über Gebühr bevorzugt werden.

Wie sieht eigentlich der CO2-Fußabdruck von Saint-Gobain aus? Bis wann kann Klimaneutralität im Unternehmen erreicht werden?

Geißels: Wir arbeiten ständig an der Optimierung unseres Fußabdrucks und sind dazu auf einem guten Weg. Das Ziel von Saint-Gobain ist, bis zum Jahr 2050 weltweit klimaneutral zu sein. Bis 2030 wollen wir unsere Emissionen im Vergleich zum Jahr 2017 im Scope 1+2 um 33 % und im Scope 3 um 16 % reduzieren. Das entspricht einer CO2-Einsparung von 1,3 Millionen Tonnen. Zur Erreichung dieser Ziele laufen vielen Initiativen und Projekte, angefangen von Mitarbeiter-Wettbewerben, in denen Vorschläge zu CO2-Reduzierungen eingereicht und prämiert werden, bis zur Überprüfung der Möglichkeiten, regenerative Energien an allen Saint-Gobain-Standorten nutzbar zu machen.

Vielen Dank für das Gespräch.